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Der

Ausgelieferte vor dem Gerichte.

Inaugural Dissertation

zur

Erlangung der Doktorwürde

der

hohen juristischen Fakultät zu München

vorgelegt von

Ernst Müller.

München, 1887.

Druck von Knorr & Hirth.

Rec. Mar. 10, 1904

Einleitung.

eber die Auslieferung als internationales Rechtsinstitut ist in diesem Jahrhunderte eine ausgiebige Literatur entstanden, welche sich von Jahr zu Jahr vermehrt.

Die geschichtliche Entwickelung des Auslieferungsrechtes bezw. des Asylrechtes, die juristische Begründung der Auslieferung, die allgemeinen Bedingungen ihrer Zulässigkeit, die Fragen, auf welchen Kreis von Personen und auf welche Kategorien von strafbaren Handlungen sich diese Maßregel erstreckt, bezüglich welcher Delikte sie jedenfalls ausgeschlossen sein soll, endlich das Auslieferungsverfahren haben theils in Gesammtdarstellungen des AusLieferungsrechtes, 1) theils in einzelnen Abhandlungen vielfache und gründliche Behandlung gefunden.

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Trozdem fehlt viel daran, daß nur bezüglich der allgemeinen Grundsäße, geschweige denn bezüglich der Einzelheiten in der Theorie und im geltenden Rechte Uebereinstimmung erzielt wäre; vielmehr ist das ganze Gebiet überreich an offenen Fragen.

Zweck der gegenwärtigen Abhandlung ist, die Auslieferung von einer Seite zu betrachten, welche bisher nur wenig) und mit, meines Erachtens, ungenügenden Ergebnissen berücksichtigt worden ist. Während nämlich die

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1) Nur von diesen seien hier gleich die hauptsächlichsten erwähnt: Provo Kluit, De deditione profugorum, Lugduni Batav. 1829. Robert von Mohl, Die völkerrechtliche Lehre vom Asyl in „Staatsrecht, Völkerrecht u. Politik“, Bd. I S. 637–764. v. Holzendorff, Die Auslieferung der Verbrecher und das Asylrecht. Berlin 1881. A. Billot, Traité de l'extradition. Paris 1874. Pasquale Fiore, Effetti estraterritoriali delle sentenze e degli atti. P. II. Delle sentenze penali e dell'estradizione; ins Französische überseht unter dem Titel: Traité de droit pénal international et de l'extradition von Charles Antoine. Paris 1880. (War nur in dieser Ausgabe mir zugänglich.) Paul Bernard, Traité théorique et pratique de l'extradition. 2 Bde. Paris 1883. Eugène Bomboy et Henri Gilbrin, Traité pratique de l'extradition. Paris 1886. Clarke, Treatise upon the law of extradition. 2. ed. London 1874. T. S. Spear, The law of extradition international and interstate. 2. ed. Albany 1884. Pascale, L'estradizione dei delinquenti. Napoli 1880. (Die leztgenannten drei Schriften waren dem Verfasser leider nicht zugänglich.) Erst nachdem die gegenwärtige Abhandlung zur Veröffentlichung fertig gestellt war, erschien das umfassende und reichhaltige Werk von H. Lammasch: Auslieferungspflicht und Asylrecht. Eine Studie über Theorie und Praxis des internationalen Strafrechts." Leipzig, Duncker & Humblot, 1887. selbe bespricht namentlich in seinem VI. Buche: Stellung des Ausgelieferten gegenüber der Justizhoheit des requirirenden Staates" viele der hier behandelten Fragen. Ich kann mit Genugthuung konstatiren, daß die von Lammasch geäußerten Ansichten mit den meinigen in vielen und wichtigen Punkten zusammentreffen.

Das

2) Speziell mit den diesbezüglichen Fragen beschäftigt sich nur ein Aufsaz von Ducrocq, Théorie de l'extradition, in der Revue critique de législation et de jurisprudence 1866 und 1867 aus Anlaß der Affaire Lamirande.

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größeren Werke, welche das ga nze Auslieferungsrecht umfassen, meist etwas einseitig vom völkerrechtlichen Standpunkte ausgehen, soll hier die Auslieferung von dem Standpunkte des Strafverfahrens, um dessentwillen sie erfolgte, also dort, wo sie ihre Wirkung auszuüben bestimmt ist, betrachtet werden.

Wir fragen: Zu welchen Entscheidungen kann dem Strafrichter die Thatsache Anlaß geben, daß der Angeklagte in Folge einer Auslieferung oder eines sich scheinbar als solche darstellenden Vorganges vor ihn geführt worden ist? Hat er sich überhaupt mit dieser Thatsache zu beschäftigen? Kann er sie einer rechtlichen Prüfung unterziehen? Mit welchem Resultate? Welche Folgen ergeben sich aus derselben für den Gang des Strafverfahrens ?

Die Ansichten über die Zuständigkeit der Gerichte zur Entscheidung der Fragen, welche die Auslieferung betreffen, gehen außerordentlich weit auseinander. Von der einen Seite und zwar ist dies die weiter verbreitete Meinung wird den Gerichten jede Einmischung mit der Begründung abgesprochen, daß diese Fragen, als internationale, ganz in die Sphäre der auswärtigen Staatsverwaltung fallen. Den Gerichten wird noch dazu die Verpflichtung auferlegt, alle ihre ursprüngliche Kompetenz beschränkenden Abmachungen der beiden bei der Auslieferung betheiligten Staatsregierungen unbedingt zu respektiren und anzuwenden.

Die entschiedensten Vertreter dieser Ansicht sind namentlich Ducrocq und Billot.

Von anderer Seite wird den Gerichten, als den natürlichen Beschüßern aller Rechte des Angeklagten, die Aufgabe zugewiesen, über die Gesetzlichkeit der Auslieferung, über die Erfüllung aller ihrer Vorausseßungen und der bei derselben zu beobachtenden Verfahrungsweise zu entscheiden. Es wird, um mit Faustin Hélie1) zu reden, der Saß aufgestellt, que l'extradé a nécessairement le droit d'invoquer toutes les nullités dont peuvent être entâchés les actes en vertu desquels il a été arrêté.

Für die richtige Entscheidung dieser Streitfragen wird es zweckmäßig sein, vor Allem zu untersuchen, wo der Richter das etwa seinen Entscheidungen und Maßregeln zu Grunde zu legende Recht findet, und wie diese Rechtsquellen beschaffen sind.

Erster Theil.

Die Rechtsquellen des Strafrichters in Fragen der Auslieferung.

§ 1.

Die gewöhnlichen Quellen des Strafrichters, die Strafgesehbücher und die Strafprozeßordnungen, enthalten wenige oder gar keine Vorschriften über die Auslieferung.

Der § 9 des deutschen Reichs-Strafgesetzbuches wird für den Richter des Ausgelieferten bei uns kaum je in Betracht kommen, ebenso wenig in Desterreich der § 59 der dortigen Strafprozeßordnung vom 23. Mai 1873, der nur eine Vorschrift für den Fall, daß Oesterreich der ersuchte Staat ist, enthält. Von den sonstigen auswärtigen Kodifikationen des Strafrechts und Strafprozesses hat nur der italienische Codice della procedura penale in seinem

1) Traité de l'instruction criminelle (1. Aufl.), t. II p. 711. Aehnlich Dalloz, Répertoire, v. traité international n. 328.

Art. 853 eine Bestimmung über den durch die Auslieferung gebildeten Theil des Strafverfahrens, Derselbe regelt das Verfahren, welches bei Stellung eines Auslieferungsgesuches zu beobachten ist.

Manche Staaten haben eigene Auslieferungsgesehe, so Belgien, 1) die Niederlande, 2) England, 3) die Vereinigten Staaten von Amerika. *) In anderen Staaten sind solche projektirt, so in Frankreich 5) und in Italien.

Von solchen Gesezen nun sollte man glauben, daß sie auch für den Richter des Ausgelieferten recht eigentlich die Rechtsquelle in allen Fragen wären, welche die Auslieferung betreffen. Allein näher besehen enthalten diese Geseze nur zum geringsten Theile für diesen Richter maßgebende Bestimmungen. Ihren Hauptinhalt bildet vielmehr die Regelung der Bedingungen und des Verfahrens der Auslieferungs gewährung. Der Fall, daß der eigene Staat die Auslieferung begehrt oder erlangt, ist fast nicht berücksichtigt. Als darauf bezügliche Bestimmungen sind nur anzuführen Art. XIX des englischen Gesezes von 1870, das amerikanische Gesetz vom 3. März 1869 und die vom Senat in das französische Gesezesprojekt eingeschobenen Art. 5—7.

§ 2.

Die Auslieferungsverträge endlich, in welchen das ganze Institut der Auslieferung seine hauptsächlichste Entwickelung und Ausbildung gefunden hat, sind allerdings Quellen des internationalen Rechtes. Können sie aber auch dem Richter als Maßstab seines Handelns dienen?

In der That wird den Auslieferungsverträgen die Eigenschaft von Rechtsquellen für den Richter, d. h. von Gesezen, insbesondere seitens der französischen Theorie, entschieden abgesprochen.

Es wird hier mit Billot 6) folgendermaßen argumentirt: Die Verträge sind bestimmt, internationale Beziehungen zu regeln Sie schaffen Verpflichtungen von Volk zu Volk und nicht Verpflichtungen Einzelner gegen einander oder Einzelner gegen den Staat. Sie sehen Bestimmungen fest, welche für die vertragschließenden Regierungen anwendbar sind und welche ihre bindende Kraft blos aus dem Völkerrechte und nicht aus dem Rechte des einzelnen Staates (droit civil) schöpfen. Die Verträge werden ferner durch die Regierungen allein unterhandelt und abgeschlossen, d. h., um einen Ausdruck Montesquieu's zu gebrauchen, durch die puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit des gens. Die geseßgebende Gewalt kann zwar in manchen Staaten kraft besonderer Verfassungsbestimmungen dazu berufen sein, die Verträge zu genehmigen und die Ermächtigung zu ihrer Ratifikation

1) Loi sur l'extradition vom 1. Oktober 1833 (außer Kraft gesezt bis auf Art. 6), Gesez vom 22. März 1856 und vor Allem loi sur l'extradition vom 15. März 1874. 2) Gesez vom 6. April 1875.

3) The Extradition Act 1870 (vom 9. August 1870) und the Act to amend the Extradition Act 1870 vom 5. August 1873.

4) Act for giving effect to certain Treaty Stipulations between this and foreign Governments for the Apprehension and delivery up of certain Offenders vom 12. August 1848; Act to amend an Act intitled etc. (Titel des vorbenannten Gesezes) vom 22. Juni 1860; und Act further to provide for giving effect to Treaty Stipulations between this and foreign Governments for the extradition of criminals vom 3. März 1869.

5) Projet de loi présenté au Sénat le 2 mai 1878 par M. Dufaure, garde des

Sceaux.

6) Traité de l'extrad. p. 303, 304; ihm folgt fast wörtlich Bernard, Traité de l'extr. t. II p. 484, 485.

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