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Verlaufs bis zum unvermeidlichen Tode eine relativ kurze Zeit in Anspruch nimmt, fängt die Huntington sche Krankheit viel später an und nimmt einen viel langsameren Verlauf.

Hier, wie bei der Paralyse, beginnt der progredient destruktive Prozeß bei Individuen, die in der Regel in den mittleren Lebensjahren stehen. In beiden Krankheiten kommt es neben den Erscheinungen auf intellektuellem Gebiet zu Störungen in der motorischen Sphäre, aber während bei der Paralyse der Prozeß im Verlauf weniger Jahre zu Ende zu gehen pflegt, dauert er bei der Huntington schen Chorea bedeutend länger. Aber da wir wissen, daß auch die Paralyse sich lange Jahre hinausziehen kann, wie z. B. Möbius1) bei der Erkrankung Nietzsches nachzuweisen versucht hat, ist es doch nicht unmöglich, daß man einmal diese beiden Krankheitsformen miteinander verwechseln kann, zumal da auch das für die Differentialdiagnose sehr wichtige Zeichen der Pupillenstarre bei der Paralyse nicht gar so selten fehlen kann, und auch die im Verlauf der Paralyse gewöhnlich zutage tretenden motorischen Symptome (Tremor) manchmal einen choreiformen Charakter annehmen können.)

Auch die anatomischen Befunde bei Huntington scher Chorea sind denen der Paralyse sehr ähnlich, in einem Falle hat Binswanger) sogar die gleichen Rindenveränderungen gefunden, wie man sie gewöhnlich bei der Paralyse findet.

Der beste Beweis für die nahe Verwandtschaft der beiden Krankheiten ist aber wohl der, daß ein Fall von familiärer Paralyse, den Mare in der allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie (Bd. 61) veröffentlicht hat, von Möbius in dessen Referat über die betreffende Arbeit ') für eine Huntingtonsche Chorea erklärt wird. Daß eine solche Verwechslung überhaupt möglich sein kann, gibt schon zu denken. Leider ist der unwiderleglich exakte Nachweis, ob dieser Fall eine Paralyse ist oder nicht, jetzt nicht zu führen.

Aber es muß doch die Frage aufgeworfen

1) Möbius, Das Pathologische bei Nietzsche.

2) Draeseke, Progressive Paralyse und Chorea. Monatsschrift für Psychiatrie u. Neurologie, XVII, S. 232.

3) Zitiert bei Oppenheim, Nervenkrankh., 4. Aufl., 1905.

4) Schmidts Jahrbücher, 1905.

werden, ob nicht für Möbius' Entscheidung ausschlaggebend gewesen sind einmal der familiäre Charakter der Erkrankung und dann das Fehlen jedes äußeren Momentes. Denn daß die relativ lange Dauer nicht dagegen spricht, darauf hat ja, wie ich oben erwähnt habe, gerade auch Möbius hingewiesen. Nach ihm dauerte Nietzsches Paralyse 19 Jahre. Ähnliche Fälle sind nicht allzu selten. Man beginnt jetzt einzusehen, daß die paar Jahre der Lehrbücher nicht ausreichen" (a. a. O.).

Aber nach Möbius ist die Paralyse eben exogen, folglich kann von ihm eine so ausgesprochen endogene, familiäre Erkrankung, bei der jedes exogene Moment so gut wie ausgeschlossen ist, logischerweise nicht als Paralyse angesehen werden. Aber mag der erste Fall, den Mare (a. a. O.) beschrieben hat, auch zweifelhaft sein, so bleibt doch der zweite unantastbar, wo in drei Generationen, ohne jede exogene Ursache, sich vier einwandsfreie Fälle von Paralyse fortgeerbt haben.

Da müssen sich doch Bedenken geltend machen, ob der Einfluß der Endogenese, die bei den meisten andern Geisteskrankheiten eine so bedeutende Rolle spielt, bei der Paralyse tatsächlich so gering ist, wie die Mehrzahl der Autoren bis jetzt anzunehmen geneigt war. In neuester Zeit mehren sich allerdings die Stimmen, welche die psychopathische Anlage als nicht unwesentlich bei der Entstehung der Paralyse annehmen. Vor allem hat Joffroy,1) der über langjährige Erfahrung verfügende Pariser Psychiater, schon seit langer Zeit die Wichtigkeit der hereditären Belastung betont und auch erst vor wenigen Monaten gegen das alleinseligmachende Dogma" der Syphilis verteidigt. In Deutschland vertritt Näcke schon seit einigen Jahren immer wieder diese Ansicht und hat erst vor kurzem eine lange Arbeit. darüber veröffentlicht.2)

Die Literatur über diese Streitfrage ist zu umfangreich, als daß es mir möglich wäre eine kurze Übersicht darüber zu geben. Es wird wohl genügen, wenn ich auf die zahlreichen Literatur

1) Académie de médecine, 7. u. 11. März 1905, ref. Rev. neurolog. 1905, S. 598.

2) Archiv für Psychiatrie, Bd. 41, Heft 1 S. 295 ff.

angaben verweise, die in den erwähnten Arbeiten Mares und Nückes gemacht sind.

Mein früherer Chef, Herr Professor Rieger, der mir das Material für die vorliegende Arbeit gütigst zur Verfügung gestellt hat, hatte früher auch den Standpunkt vertreten, daß das exogene Moment bei der Entstehung der Paralyse die Hauptrolle spiele, und dementsprechend konnte ich in einigen Krankengeschichten noch aus dem Ende der neunziger Jahre Stellen vorfinden, wie die folgende: Wenn die starke hereditäre Belastung nicht vorläge, wäre der Verdacht sehr groß, es könne sich um eine Paralyse handeln. Da aber diese bei der Paralyse so gut wie nicht in Frage kommt, wird man wohl eher eine andere Geisteskrankheit annehmen müssen." Es stellte sich aber nachher heraus, daß gerade dieser Fall doch eine Paralyse war. In einer andern Krankengeschichte war vermerkt: „Eigentlich paßt die Anamnese cher für die Annahme einer funktionellen Psychose. In Anbetracht der zweifellos paralytischen Symptome muß man aber doch eine Paralyse annehmen.“ Seither hat sich aber an der Würzburger Klinik immer mehr herausgestellt. daß die endogene Anlage für die Ätiologie der Paralyse nicht zu vernachlässigen ist. Aus dieser Klinik ist auch die erwähnte Arbeit von Mare hervorgegangen. Aber während dieser sich darauf beschränkte, die Möglichkeit einer familiären Forterbung der Paralyse zu zeigen, soll in folgendem untersucht werden, welche Rolle die Endogenese bei der Entstehung der Paralyse spielt. Zu diesem Zwecke habe ich die Paralytiker, die innerhalb der letzten 15 Jahre in der Würzburger Klinik aufgenommen worden sind, von diesem Gesichtspunkte aus bearbeitet.

Meinem verehrten ehemaligen Chef, Herrn Prof. Rieger, spreche ich an dieser Stelle für die Überlassung des Materials meinen ergebensten Dank aus.

I.

Bei der Lösung der Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, war ich vor allen Dingen auf die Anamnese angewiesen, doch ist diese leider nur in den allerwenigsten Fällen derart, daß wir ein

klares Bild über das bisherige Leben unseres Kranken bekommen. Da wir die vom Kranken selbst (besonders wenn er an der Paralyse erkrankt ist) gegebenen anamnestischen Daten nur mit allergrößter Vorsicht verwenden dürfen und eigentlich nur auffassen sollen als ein Produkt seiner Geistestätigkeit, die wir beurteilen. wollen, nicht aber die von ihm gemachten Angaben ohne weiteres auch als facta ansehen dürfen, sind wir auf die oft mangelhafte „objektive" Anamnese durch die Verwandten und Bekannten angewiesen. Auch hier sind die Verhältnisse für die Paralyse ungünstiger als bei dem Durchschnitt der übrigen Kranken. Während von letzteren die Mehrzahl in jüngeren Jahren erkranken, befinden sich die Paralytiker meist in einem Alter, wo ihre Eltern, die am besten Auskunft geben könnten, längst tot sind. Sie sind meist verheiratet und den übrigen Familienmitgliedern aus dem Gesichtskreis geschwunden, während die Frau über die Zeit vor der Verheiratung meist völlig unwissend ist, ganz besonders über etwaige Familienanlagen usw. Wir haben also bei der Anamnese mit Fehlerquellen zu rechnen, die für die Paralyse noch größer sind als bei den andern Psychosen. Es werden die positiven Angaben über endogene Veranlagung im allgemeinen geringere sein wie in Wirklichkeit, aber bei der Paralyse müssen wir schon von vornherein etwas geringere Werte erwarten als bei den andern, auch wenn wir annehmen, daß bei ihr die Rolle der endogenen Veranlassung nicht weniger wichtig ist.

Bei der Entscheidung der Frage: endogen oder nicht? spielt die wesentlichste Rolle die hereditäre Belastung. Man darf dabei allerdings nicht vergessen, daß die Hereditätsforschung aus manchen Gründen oft eine sehr unsichere Sache ist. 1) Ist die Belastung bei jemandem ausgeschlossen, so hindert das nicht, daß der Betreffende doch aus inneren Gründen erkranken kann; anderseits kann sich auch die Vererbbarkeit einer Anlage verlieren. Aber im allgemeinen ist doch die Heredität, wenn sie vorhanden.

1) Vergl. Rieger, Festschrift für Werneck. Fischer, Jena 1905 (S. XI, Pater semper incertus etc. Absichtliche Verschweigung); vergl. auch Möbius Nietzsche, S. 8ff).

ist, das beste Kriterium für die Beurteilung der endogenen Veranlagung. Während die meisten Untersucher sich darauf beschränkt haben zu erforschen, wie oft bei der Paralyse hereditäre Belastung vorliegt oder nicht, habe ich festzustellen gesucht. ob diese Belastung bei der Paralyse weniger häufig zu finden ist, als bei denjenigen Erkrankungen aus dem Gebiet der Psychiatrie, von denen heutzutage gemeinhin angenommen wird, daß sie endogener Entstehung sind. Damit wir aber irgendwelche Schlüsse zu ziehen berechtigt sind, ist es erforderlich, daß wir vergleichbare Werte für beide Gruppen haben. Vergleichbar sind die Resultate nur dann, wenn sie beide auf dieselbe Art gewonnen sind, wenn das zugrunde liegende Material gleichmäßig ist und von denselben Beobachtern in derselben Zeit gesammelt worden ist. Daß eventuell Fehlerquellen vorhanden sind, wird, da diese für beide Gruppen dieselben sind, keinen Einfluß auf das Endresultat haben. Wir müssen uns nur darüber klar sein, daß die von uns gefundenen Resultate keine absoluten Zahlen darstellen sollen, sondern nur Vergleichswerte.

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Um diesen Zweck zu erreichen, habe ich gleichzeitig die Rolle der erblichen Belastung bei den andern im Laufe der letzten 15 Jahre in der Würzburger Klinik aufgenommenen Kranken (mit „endogener" Psychose) untersucht. Um die Arbeit nicht zu sehr auszudehnen, will ich nur ganz kurz das Endresultat dieser Berechnung bringen, denn auf dieses allein kommt es hier an. Bei den andern nicht paralytischen und zu den sogenannten endogenen Psychosen gerechneten Fällen war hereditäre Belastung sicher nachzuweisen in 38% der Fälle. Sichere Belastung habe ich nur dann angenommen. wenn mindestens eine Psychose in der nahen Blutsverwandtschaft in ganz einwandsfreier Weise nachgewiesen war. Genau dieselben Bedingungen betr. Entscheidung, ob sicher belastet oder nicht, sind auch bei der Paralyse entscheidend gewesen. Zweifelhafte, aber doch sehr wahrscheinliche Belastung war noch in 112% der Fälle vorhanden. Auf alle anderen ätiologischen Momente habe ich bei diesen Psychosen nicht geachtet, auch nicht auf die Syphilis, weil gerade bei ihr aus Gründen, die ich weiter

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